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Frank Hartmann hat aufgehört

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nach letzten Informationen hat Frank Hartmann seine Tätigkeit als Trainer am OSP Saarbrücken mit sofortiger Wirkung beendet. Offensichtlich gab es keine Verlängerungsmöglichkeit bis Jahresende wie es am 1. Juli in der Saarbrücker Zeitung noch geschrieben wurde.

Artikel:

Saarbrücken Der saarländische Landestrainer, der Etienne Kinsinger zu den Olympischen Spielen geführt hat, hat eine bewegte Lebensgeschichte

 
 
 

Es hätten seine vierten Olympischen Spiele werden können. Doch wenn sich in gut drei Wochen die „Jugend der Welt“ zu den Spielen 2021 im japanischen Tokio trifft, dann wird Frank Hartmann nur vor dem Fernseher mitfiebern können. Der 71 Jahre alte Landestrainer des Saarländischen Ringerverbandes (SRV) für den griechisch-römischen Stil darf seinen Schützling Etienne Kinsinger vom KSV Köllerbach nicht zu dessen ersten Spielen begleiten.

„Der Deutsche Olympische Sportbund hat neben dem Bundestrainer nur noch einen weiteren Trainer zugelassen. Die Wahl fiel auf Andreas Stäbler, den Heimtrainer des dreifachen Weltmeisters Frank Stäbler. Das hat er auch verdient“, sagt Hartmann, kann aber die Enttäuschung in der Stimme nur schwerlich verbergen: „Ich akzeptiere die Entscheidung. Es ist schon in Ordnung so. Wichtig ist, dass der Athlet dabei ist.“

1972 war Hartmann selbst als Athlet für die DDR bei den Spielen in München. Mit dem Ringen hat der 1959 in Oelsnitz im Erzgebirge geborene Frank Manfred Hartmann als Schüler begonnen. „Es hat mir Spaß gemacht, und die Erfolge stellten sich schnell ein.“ Mit zwölf Jahren brachte ihn sein Vater zur Sportschule nach Zella-Mehlis. „1960 hatte ich im Fernsehen die Olympischen Spiele gesehen und mit den DDR-Athleten mitgefiebert. Mir war klar: Da muss ich auch hin.“

Im Juniorenbereich gewann er das Turnier der sozialistischen Länder – gegen die starke Konkurrenz aus der damaligen Sowjetunion. In der internen Qualifikation für München 1972 musste er sich in der nationalen Ausscheidung in der Klasse bis 82 Kilogramm im griechisch-römischen Stil gegen den Olympiasieger von 1968, Rudolf Vesper, durchsetzen. Das gelang Hartmann – ausgerechnet am Tag der Geburt seines ersten Kindes. Das große Ziel Olympia-Qualifikation war geschafft.

Hartmanns Mutter durfte die Reise in den Westen nicht mit antreten. „Meine Familie stammt mütterlicher­seits aus der Nähe von Köln. Sie wollte ihren Sohn bei Olympia sehen und stellte einen Reiseantrag. Die DDR-Führung hatte wohl Angst vor Republikflucht“, erinnert sich Hartmann, „dabei hätte ich niemals meine Familie im Stich gelassen – und sie auch nicht.“

Auch wenn er von der systematischen Sportförderung im „Arbeiter- und Bauernstaat“ profitiert hat, konnte Hartmann der Politik wenig abgewinnen. „Auf einer der Auslandsreisen war mir mal ein Herr aufgefallen, der eigentlich immer im Flugzeug saß, wenn wir als Sportler unterwegs waren. In der Sporthalle bin ich dann zu ihm auf die Tribüne und habe gefragt: ,Sind Sie von der Stasi?’ Er meinte: Ja, er sei da, um uns zu beschützen. Ich musste lachen und sagte, dass ich mich nicht bedroht fühlte“, erzählt Hartmann, „ich habe immer Sport und Politik getrennt, war nie beim Militär. Ich bin absoluter Pazifist. Ich kann nicht verstehen, warum Menschen sich gegenseitig hassen, nur weil sie aus unterschiedlichen Ländern stammen oder eine andere Religion haben.“

Eine Lebenseinstellung, die im Olympischen Dorf in München noch mehr gefestigt wurde. „Es macht etwas mit dir, wenn du morgens aus dem Haus kommst, und da liegen Leichen nur mit einer Plane abgedeckt.“ Palästinensische Terroristen hatten israelische Teilnehmer kaltblütig ermordet. Das Trauma von München schockte die Welt – und auch Hartmann. „Es war ein Traum, der zum Horror wurde. Ich habe hier in Saarbrücken aktuell eine Trainingsgruppe mit Sportlern, zusammengesetzt aus mehr als zehn unterschiedlichen Nationen. Der beste Weg zur Völkerverständigung ist der Sport.“

Vier Kämpfe bestritt Hartmann in München, wurde am Ende Sechster. Zwei Jahre später beendete eine schwere Knieverletzung die Athletenkarriere – und eröffnete die des Trainers. Ein Sport- und Trainerstudium bildete neben der praktischen Erfahrung die Grundlage für eine Laufbahn, die in Zella-Mehlis begann, nach der Wende 1990 in Schifferstadt als Stützpunkt- und Bundesliga-Trainer ihre Fortsetzung fand und ihn 1996 zu den Spielen nach Atlanta führte. Nachdem er in der DDR für damalige Verhältnisse gut verdient hatte, war seine Anstellung im Westen zunächst eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

1997 holte Eike Emrich, der damalige Leiter des Olympiastützpunkts, Hartmann ins Saarland. „Das System im Osten hatte natürlich ihre Schattenseiten. Dazu könnten wir ein eigenes Interview machen. Aber die Förderung war ideal. Alles drehte sich um die sportliche Zukunft. Schule, Freizeit, Essen, Schlafen – alles war extrem reguliert und auf das Ziel ‚Spitzensport‘ ausgerichtet“, erzählt Hartmann, „heute würde man vielleicht sagen, es war unmenschlich. Nicht alle aus meinem Jahrgang sind Spitzenathleten geworden. Aber fast alle haben in ihren Berufen herausragende Positionen erreicht. Weil Disziplin einfach eine Grundvoraussetzung ist. Dazu Ehrgeiz. Wille. Und am Ende ein Tröpfchen Talent.“

Hartmann hat viele Ringer im Saarbrücker Stadtwald betreut, geprägt, besser gemacht. Jurij Kohl, Konstantin Schneider, Alfred Ter-Mkrtchyan, Muhammed Yeter, Ismael Baygus, Jannis Zamanduridis oder Timo Badusch sind nur einige. „Die Trainingsmöglichkeiten am Anfang waren überschaubar. In der Ringerhalle lagen die Strohballen der Bogenschützen“, erinnert sich der Erfolgstrainer, „Sportler muss man erziehen, nicht nur ausbilden. Beides muss eng verknüpft sein. Das musste auch Olympiasieger Oleg Kutscherenko erst begreifen. Ich habe ihn mal nach Hause geschickt, weil er sich nicht in den Trainingsbetrieb der Gruppe eingliedern wollte.“

Jan Fischer wollte Hartmann zu den Spielen nach Athen 2004 führen, doch der Saarländer verletzte sich vorher schwer. „Bei ihm haben wir einen Weg gefunden, das Wettkampfsystem für seine Fähigkeiten optimal auszureizen. Das hat oft nicht schön ausgesehen, am Ende war er aber der Gewinner. Er hat auch aus seinem Leben unglaublich viel gemacht.“ Der Polizeibeamte gilt als Kandidat für Hartmanns Nachfolge als Landestrainer.

Hartmann ist heute noch immer in Top Form und wirkt mit seinen 84 Kilogramm deutlich jünger als es der Personalausweis vorgibt. Der Sport hat ihm geholfen, gesundheitliche Rückschläge zu verkraften. Herzoperation 2012, Rückenoperation 2016. Darmkrebs 2018. „Der Krebs war schon eine andere Dimension. Meine Arbeit, die Freude daran, hat mir geholfen, den Weg ins normale Leben zurückzufinden. Wer hat schon das Geschenk, so einen Beruf ausüben zu dürfen?“

Nun schließt sich mit dem „Eichhörnchensprung“ von Budapest der Kreis. Hartmanns Schützling Etienne Kinsinger sicherte sich mit dieser außergewöhnlichen Technik das Ticket nach Tokio. Hartmann hat „aus dem kleinen Etienne den großen Kinsinger“ gemacht. „Er ist mit 14 Jahren zuhause ausgezogen, weil er Spitzensportler werden wollte“, erinnert sich Hartmann, „er hatte eine gute Grundausbildung im Ringer-Kindergarten des KSV Köllerbach. Wir haben dann eine Technikstruktur gesucht, die genau zu ihm passt, die aber damals niemand in der Weltspitze gemacht hat.“

Das Verhältnis der beiden ist eng. Auch weil der Trainer genau weiß. wie der Sportler tickt. „Olympia war unser erklärtes Ziel. Wir sind eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, die nach absoluten Topleistungen streben. Bei Etienne muss jede Technik zuerst durch den Kopf. Darum muss jede Einheit perfekt strukturiert sein.“

Corona hat den gesamten Sport getroffen – die Kontaktsportart Ringen besonders. „Ringen geht nur gemeinsam. Ich kann nicht alleine am Baum wackeln und denken, ich bin gut. Man muss Leute finden, die sich gegenseitig anspornen. Konkurrenz schaffen“, sagt Hartmann, „wir müssen gemeinsam gegensteuern, sonst geht diese wunderbare Sportart den Bach runter.“ Sein Vertrag als Landestrainer läuft am 31. August aus, soll höchstens bis Jahresende verlängert werden. Ringen ohne Hartmann? Schwer vorstellbar, auch für ihn selbst: „Ich sehe mich als Visionär und Vordenker und kann mir gut vorstellen, dem saarländischen Ringen auch in Zukunft zu helfen.“

 
 

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